Dienstag, 23. Februar 2021
Du hast die Sonne nie gesehen.
Hast niemals ihre Wärme gespürt auf Deiner Haut.
Hast dem Meer nie gelauscht, seinem niemals endenden Rauschen und Tosen.
Das Salz in der Luft. Du hättest es geschmeckt auf deinen Lippen.
Der Wind in Deinen Haaren. Du hättest ihn geliebt, wärest mit ihm um die Wette gelaufen. Da unten am Strand, im warmen Sand.
Das Kreischen der Möwen, das leise Knarzen der hölzernen Boote im Auf und Ab der Wellen.
All das durftest Du nicht erleben.

Du hast den Boden nie gespürt.
Unter Deinen kleinen Füssen.
Warmes weiches Moos im schattigen Wald, den heißen Asphalt in der Julisonne, kühles feuchtes Gras an einem grauen Regentag.
Du lerntest nicht, Schritt für Schritt Deinen Weg zu bahnen hinein in Dein Leben, an der Hand geführt, vorsichtig und ängstlich, die ersten Meter in die Selbstständigkeit.

Du durftest nicht schmecken die Süße des Honigs, nicht riechen den Duft der Blumen.
Durftest Deinen Hunger nicht stillen. Die Milch aus der Brust Deiner Mutter war Dir nicht vergönnt.

Ich habe Dein Lachen nie gehört, das Strahlen Deiner Augen nie gesehen. Wir lernten einander nicht kennen. Du wurdest nicht gefragt, ob Du leben willst.

Du hast die Sonne nie gesehen.
Deine Reise wurde beendet, bevor sie begann.
Du hast Dich aufgemacht, mit Engelsflügeln.
Bist entkommen dem Martyrium, das Dich empfangen hätte.

Flieg weiter, schau nicht zurück, zur Sonne, die Du nie gesehen hast.
Ich denke an Dich. Vermisse Dich, obgleich ich Dich nicht kannte. In meiner Kehle steckt Dein Schrei. Anklagend, verzweifelt, traurig, wütend.

Lebe wohl, mein Kind!




Mittwoch, 1. April 2020
Die Welt steht still.
Fordert ihr Tribut.
Darwin is Darwin.

Nähert sich das Ende?
Habe ich mir das nicht immer gewünscht?
In den letzten zwei, drei Jahren?
Sterben und es selbst nicht veranlassen müssen.

Ich habe Angst um mein Kind.
In welch eine Zeit wurde es hineingeboren.
In eine Welt am Abgrund.

Ich bin verzweifelt, überfordert, ängstlich.
Harre der Dinge, die da kommen mögen.
Papier wird zu Gold.
Während das weiße Rauschen mich sanft
in den Schlaf geleitet.




Freitag, 28. Juni 2019


Die Luft ist warm und riecht schwer und süß nach Kastanienblüten, als ich meine kühle dunkle Wohnung verlasse.
Während mein Leben im Allgemeinen und der Sommer im Speziellen an mir vorüberziehen, spaziere ich durch die Straßen, vorbei an teuren in parkähnlichen Anlagen eingebetteten Anwesen, welche mir mein eigenes Scheitern, das Scheitern meines Lebens, immer wieder vor Augen führen. Nichts erreicht. Da sitze ich in der Mitte meines Lebens in meinem Einzimmerwohnklo in frustrierender Bestlage, habe kein vernünftiges Vermögen anhäufen können, meine Beziehung ist gescheitert. Mein Dasein, eine reine transiente Existenz. Das Einzige, was mir geblieben ist, hat sich parasitär und lästig eingenistet. Ich wandere durch die anliegenden Wälder und mein Blick fällt auf die entfernte Kulisse der Großstadt. Dort, wo ich einst lebte, bevor mein Leben seine Wendung nahm. Ich kehre zurück. Stille und Dunkelheit beherrschen meine Unterkunft. Ein Güterzug umkreist mein gebrauchtes altes Sofa, dessen Stoff in der hitzebedingten Luftfeuchtigkeit klamm geworden ist. Sein immerwährendes weißes Rauschen wirkt einlullend und ermüdend. Gescheitert auf ganzer Linie. Aus dem Transit ist ein Scheitern geworden. Ich muss eingestehen, dass die Endstation des Transits das Scheitern ist.